Was für eine Handtasche. Ein Traum, der Frauen schweben lässt. DAS Geschenk für meine Frau. Und dann sowas! „Tut mir Leid“, sagt Heike Funk vom gleichnamigen Geschäft in der Bismarckstraße. „Unsere Taschen sind unverkäuflich. Aber wir bringen unseren Schülern bei, wie man so etwas selbst näht…“
„Wenn ich die Tasche schon nicht kaufen kann, dann mache ich sie eben selber! Warum soll ich das nicht lernen können?“ Habe ich das jetzt tatsächlich gesagt?
Heike Funk lacht. Ich wäre nicht der erste Mann, dem man das beigebracht hätte, schmunzelt die Fachfrau für alles rund um Stoffe und Handarbeit.
Zwei Wochen später sitze ich zum ersten Mal vor der Maschine. „Wollen Sie lieber mit dem Fußpedal oder mit dem Armhebel nähen?“, fragt mich Sylvia Urban-Schade.
Sie arbeitet als Handarbeitslehrerin bei der Firma Funk und hat den harten Job, mir den Umgang mit der High-Tech-Nähmaschine beizubringen. In nur zwei Tagen will sie mir zu der Tasche meiner Träume zu verhelfen. Ich entscheide mich für den Fußantrieb, schließlich bin ich ja Autofahrer. Außerdem kenne ich das von meinem Opa. Der war Schneider, und seine uralte Nähmaschine funktionierte auch per pedes – aber nicht elektrisch…
Erstmal Grundlagen
Zuerst lerne ich die grundlegenden Dinge. Was gibt’s für Nadeln, wie setzt man sie ein, wie wird der Faden geführt, Oberfaden, Unterfaden – Sylvia Urban-Schade erklärt geduldig, bis ich so halbwegs kapiert habe, wo es lang geht. Anschließend versuche ich, eine gerade Naht auf ein Stück Stoff zu zaubern. Stoff festhalten, ausrichten, mit dem „Gaspedal“ das Tempo vorgeben; eine echte Herausforderung für die Koordination.
Dann geht’s ans Eingemachte. „Veganes“ Leder heißt heute das, was früher unter dem Namen Kunstleder verkauft wurde. Die Auswahl ist riesig, und weil ich ja weiß, wie die Tasche am Ende aussehen soll, werde ich schnell fündig. Innenfutter aussuchen, Reißverschlüsse wählen, Tragegurte – die gesamte Ausstattung der Tasche liegt vor mir.
„Jetzt kommt das wichtigste“, sagt Sylvia, „und das dauert beinahe so lange, wie die Herstellung der Tasche. Nämlich der Zuschnitt!“
Hälfte der Zeit für Vorbereitung
Ich kann mich dunkel dran erinnern, wie Opa mit einem Stückchen flacher Kreide und seltsamen Holzlinealen seine Stoffe markiert hat. Ein bisschen fühle ich mich wie auf seinen Spuren, als ich mit der Kreide auf dem Material herumkritzele. Unter den wachsamen Augen meiner Lehrerin achte ich auf die richtige Zugabe und lerne allerlei Tricks und Kniffe.

Weil man nämlich vom Zuschnitt bis zur fertigen Tasche ein paar Mal „andersrum“ denken muss. Gar nicht so einfach…
Als wir das gesamte Material erst markiert und dann zugeschnitten haben, geht es los. Endlich an die Maschine. Sylvia zeigt mir noch einmal, wie man die Einstellungen wählt, ich lege den Faden ein – und dann geht’s los.
Naht für Naht zum Ziel
Naht für Naht komme ich meinem Ziel näher – und immer wieder schimpfe ich leise vor mich hin. Geradeaus nähen ist gar nicht so leicht. Vor allem, wenn man zwei übereinander liegende Stoffe auch noch mit einem Reißverschluss verbinden will. Immer wieder wandert das Bündel nach links oder nach rechts; eine gerade Linie sieht anders aus…
„Morgen geht’s weiter“, sagt Sylvia am Ende des Tages. „Das war doch gar nicht schlecht!“
Wie? Der erste Tag ist schon vorbei? Die Zeit ist geradezu verflogen, während ich vollkommen vertieft vor mich hingenäht habe. „Die Nähte sind absolut okay“, schickt mich die Spezialistin in meinen unverhofften Feierabend. „Der Rest kommt beim Bügeln“, meint sie und grinst übers ganze Gesicht. Ich kann mir nicht wirklich vorstellen, dass ich morgen schon fertig sein soll.
Wie war das nochmal?
Tag 2. Sylvia und ich starten. Wie war das nochmal mit dem Faden? Und wo stellt man die Geschwindigkeit ein? Die großartige Lehrerin beweist abermals Geduld mit ihrem begriffsstutzigen Schüler; nach einer Viertelstunde Grundlagenwiederholung geht’s weiter. Und tatsächlich: Nach und nach kommt der ganze Haufen Veganleder und Stoff in eine Form, die ein bisschen wie eine Tasche aussieht.
Sylvia zeigt mir etliche Tricks, wie es schneller geht. Alles auf links, dann wieder rechts, immer zwei Schritte voraus denken und den übernächsten Arbeitsgang schon im Kopf haben. Sie dreht und wendet das Objekt, und ich muss mich tatsächlich anstrengen, der Logik zu folgen. Warum wird denn das ganze Ding jetzt schon wieder umgestülpt???

Schon wieder wandert das Bündel beim Nähen nach der Seite aus – es ist zum Mäusemelken. Schnell nochmal auftrennen, nochmal von vorne – auf links, noch eine Naht… wie? Fertig? Sylvia lacht, nimmt das ganze Konvolut aus der Maschine, stülpt alles ein letztes Mal durch den schmalen Schlitz im Innenfutter. Und da sitze ich und staune. Die Wahnsinnstasche liegt vor mir. Das habe ich selbst gemacht?? Da muss ich jetzt aber schon mal ein bisschen stolz in mich reinlachen! Was wird meine Frau dazu sagen?
Komplett sprachlos!
Sylvia holt mich für einen Moment zurück auf den Boden der Tatsachen. Wofür ich unter Anleitung zwei Tage brauchte, erledigt sie in zwei Stunden. Naja, ist ja noch kein Meister vom Himmel gefallen…
So, jetzt noch schnell den Reißverschluss für die Innentasche als aallerletzten Schritt, und fertig ist das Objekt meiner Begierde.

Selten habe ich mein geliebtes Eheweib so überrascht gesehen wie in dem Augenblick, als sie die Handtasche ausgepackt hat. „Selbst gemacht“, habe ich gesagt. Das wollte sie nicht glauben. Dieser Moment völliger Sprachlosigkeit wäre auch ein Jahr Arbeit wert gewesen!
Übrigens: Wenn ich das kann, können Sie das auch. Nähen macht einen Riesenspaß, vor allem an langen Abenden. Es hat was sehr Meditatives, und für kreative Menschen ist es ein wunderbares Hobby. Schauen Sie doch mal rein in die Handarbeitswelt des Bebraer Traditions-Familiengeschäfts in der Bismarckstraße. Heike Funk berät Sie gerne.
Wer mehr erfahren möchte, sollte am 27. Juni zum großen Kreativ-Tagins be! kommen. Dort stellt Funk seine ganze Palette an Maschinen aus, und es wird jede Menge Stoffkunst geboten. Unbedingt schon mal im Kalender anstreichen – das wird ein toller Tag!